Klemm-Daimler L20 von CraftLab: Die leichte Zwanzig - fliegermagazin (2024)

Es ist nun schon mehr als zwei Jahre her, als der Nachbau der Klemm-Daimler L 20B zum Erstflug abhob. Wir haben im fliegermagazin darüber berichtet und den Artikel nun noch einmal aufbereitet. Wir wünschen viel Spaß beim Lesen!

Es ist ein idealer Abend im Juni 2020 auf dem alten Flugfeld von Wiener Neustadt, um einen Klassiker des Leichtflugzeugbaus in die Luft zu bringen. Vier Jahre Arbeit sind in den Nachbau der Klemm-Daimler L 20B geflossen. Da will man beim Erstflug nichts riskieren. Dank kurzer Flammrohre entwickelt der kleine Daimler-Zweizylinder einen recht kernigen Sound – bei gerade mal 20 PS. Entsprechend gemächlich setzt sich der Zweisitzer auf der Grasbahn in Bewegung.

Nach 20 Minuten landet der Nachbau der Klemm-Daimler L 20 von CraftLab

Nach 20 Flugminuten ist der heikle Teil des Projekts L 20 mit einer weichen Landung erledigt. In der Nachbesprechung findet Sebastian Knapp, Testpilot und L-20-Projektleiter, nicht viel zu meckern: »Ein phantastisches Flugzeug! Die rundum positiven Berichte in der damaligen Fachliteratur waren nicht übertrieben. Bloß die geringe Motorleistung ist ein Handicap.«

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Es ist die erste L 20 am Himmel seit neun Jahrzehnten, beste Handarbeit aus der renommierten CraftLab-Werkstatt in Pitten, Niederösterreich. Dort, in einer ehemaligen Tennishalle, hat man sich auf anspruchsvollen Holzbau spezialisiert. Chef und Gründer von CraftLab ist Koloman Mayrhofer. Außer dem 62-Jährigen sind sieben weitere Fachleute in der Werkstatt zugange.

Die neue Klemm-Daimler L 20 glänzt durch originalen Antrieb

Der gelernte Holzbildhauer Mayrhofer hat noch nie viel Lärm um seine Arbeit gemacht, dennoch hat sich deren Qualität weit herumgesprochen. Bekannt sind unter anderem die zwei Reproduktionen der Albatros D.III (Oef), eines preußischen Jägers aus dem Ersten Weltkrieg. Beide Maschinen haben originale Austro-Daimler-Flugmotoren.

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Auch die nagelneue L 20 glänzt durch ihren originalen Antrieb. Ausgerechnet der Auftraggeber des edlen Repro-Projekts und nunmehrige Eigentümer der L 20 ist beim Erstflug nicht zugegen: Ernst Piëch. Der 91-jährige Enkel des berühmten Ferdinand Porsche ist Gründer eines Museums in Mattsee bei Salzburg. Es heißt Fahr(T)raum – die Ferdinand-Porsche-Erlebniswelten sind ganz dem Leben und Werk des großen Ingenieurs und Konstrukteurs vor dem Zweiten Weltkrieg gewidmet.

Porsche ging 1923 von Wieder Neustadt nach Stuttgart

Auch in der Fliegerei hat der vielseitige Porsche seine Spuren hinterlassen, etwa als Konstrukteur von Flugmotoren bei Austro-Daimler, dem österreichischen Daimler-Ableger in Wiener Neustadt. Im Ersten Weltkrieg wurden viele seiner 16-Liter-Sechszylinder in den Jägern und Aufklärern der K.u.K-Fliegertruppe verbaut. So auch in der Hansa-Brandenburg C.I, konstruiert von Ernst Heinkel. Die C.I existiert ebenfalls als flugtüchtiger Nachbau – von Ernst Piëch bestellt und 2015 von CraftLab geliefert (siehe fliegermagazin #12.2020). Mit der L 20 folgt nun ein famoser Sportflugzeug-Klassiker.

Eine paar Nummern kleiner als die 225 PS starken Sechszylinder-Reihenmotoren von Austro-Daimler ist die zivile Nachkriegsentwicklung Daimler F 7502. Der Boxer entstand eigentlich nur deshalb auf Porsches Zeichenbrett, weil Hanns Klemm einen passenden Motor für seine L 20 brauchte. Porsche war 1923 von Wiener Neustadt nach Stuttgart gegangen, um seine Karriere bei Daimler fortzusetzen.

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Klemm war seinerzeit leitender Konstrukteur beim Daimler-Flugzeugbau und die L 20 deshalb anfangs kein Klemm-, sondern ein Daimler-Muster (erst nachdem sich Klemm Ende 1926 selbstständig gemacht hatte, hieß das Muster Klemm-Daimler L 20). Für seinen Motorenwunsch brauchte sich Klemm nur an den Kollegen von nebenan zu wenden.

Eine Flugschule aus Bukarest schulte auf L 20

Wegen des Porsche-Triebwerks wollte Ernst Piëch eine L 20 in seinem Museum haben. Und weil in seiner Familiengeschichte eine Flugschule in Bukarest auftaucht, die eine Zeit lang auf L 20 geschult hat. Ein paar glückliche Wendungen waren nötig, ehe ein brauchbarer F 7502 im CraftLab-Netzwerk auftauchte. Projektleiter Knapp brachte den höchst seltenen Motor mit der Werknummer 16648 in 1300 Arbeitsstunden wieder auf Vordermann. Der kleine Vierventiler schöpft seine 20 PS aus 884 Kubikzentimeter Hubraum und schluckt sieben Liter pro Stunde.

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Die aerodynamisch saubere L 20 war wie geschaffen, um das Beste aus so wenig Leistung zu machen. Gutmütige Flugeigenschaften, Wirtschaftlichkeit, einfache Wartung – all das fand sich in Klemms leichtem Tiefdecker.

Fotos und Luftsportmagazine halfen beim Erstellen der Pläne

Doch bevor man in Pitten an den Bau der L 20 gehen konnte, war grundlegendes Nachforschen gefragt. 800 Stunden Recherche brauchte es, um praktisch aus dem Nichts einen Plansatz zeichnen zu können.

Heute sind nur noch drei L 20 bekannt, die überlebt haben, und keine davon ist vollständig original. Bei CraftLab war man gezwungen, eine Vielzahl von Quellen anzuzapfen – etwa das Luftfahrtmuseum von Graz-Thalerhof, wo schon seit einigen Jahren die Komponenten der Werknummer 69 restauriert werden. Fragmente einer weiteren L 20 gibt es in Argentinien. Darüber hinaus halfen stapelweise Fotos und Luftsportmagazine aus den zwanziger Jahren beim Erstellen der Pläne. Im Mai 2016 erteilte Austro Control die Baugenehmigung für das Einzelstück in der Experimental-Kategorie.

Klemm-Daimler L 20: Fast alle besteht aus Holz

Die L 20 ist ein Traum in Leichtbau und eine dankbare Aufgabe für einen leidenschaftlichen Holzflugzeugbauer. Leichte amerikanische Sitka-Fichte, dünnes Birkensperrholz, ein bisschen Linde zur Formgebung – fast alles besteht aus Holz. Nur wenige Metallteile finden Verwendung: Motorträger, Fahrwerk und Steuerung bestehen aus Stahlrohr, die Flächenanschlüsse aus Chromnickelstahl. Sämtliche Ruder sind aus Alurohr und Alu-
blech vernietet. Eine konstruktive Besonderheit, auf die Hanns Klemm nach der L 20 nie wieder zurückkam, sind die drehbaren Randbögen, die mit den Querrudern gekoppelt waren. Diese »Flügelspitzenruder« hatten ihre Tücken, insbesondere im Langsamflug, heißt es. Daher wurden sie oft stillgelegt – was auch CraftLab machte.

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In einem verblichenen Prospekt wird das Leergewicht der L 20 mit 265 Kilo angegeben. Dazu Projektleiter Knapp: »Die Angaben zur originalen Leermasse sind sehr unterschiedlich. Aus Mangel an Materialien in der gewünschten Qualität haben wir etwa vier Prozent Übergewicht. Ein Teil davon steckt in den Rädern.«

Zum Team von CraftLab gehören auch gelernte Instrumentenbauer

Erschütternde 5600 Arbeitsstunden sind allein in den Bau der Zelle geflossen. Was dabei herauskam, dürfte schöner und präziser sein als je ein Original der L 20 war. Wie schon bei Mayrhofers Albatros D.III und der Hansa-Brandenburg C.I mutet die Arbeit wie Kunsthandwerk an. Es verwundert nicht, dass zum CraftLab-Team gelernte Instrumentenbauer gehören.

Man darf annehmen, dass die Handwerker damals in Stuttgart und Böblingen deutlich flotter und weniger detailverliebt schaffen mussten, um in den Jahren 1923 und ’24 wenigstens 58 Exemplare dieses Musters fertigzustellen. Die berühmteste ist zweifellos die D-1433, mit der ein junger deutscher Adliger mit klangvollem Namen, Friedrich Karl Freiherr Koenig von und zu Warthausen, vor gut neunzig Jahren innerhalb von 16 Monaten um die Welt knatterte. Endstation: Roosevelt Field, Long Island, New York. Dort war der »Kamerad«, wie der Pilot seine Maschine getauft hatte, ziemlich ramponiert. Die D-1433 kehrte aus den USA nicht mehr zurück.

Erstflug der Klemm-Daimler L 20 von CraftLab im Juni 2020

Auch der Daimler, der dem »Kameraden« wacker gedient hatte, war fertig. Im Februar 2020 brummte ein grundüberholtes Exemplar des Vierventilers auf einem einfachen Prüfstand im Hof von CraftLab gut fünf Stunden tapfer ab, ehe Austro Control die Zuverlässigkeit des antiken Flugmotors für erwiesen hielt. Zwei Monate später lief der Boxer erstmals in der L-20-Zelle.

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Nur ein paar Tage nach dem finalen »Go!« aus Wien traf sich das CraftLab-Team am 25. Juni 2020 auf der westlichen Seite des Flugplatzes Wiener Neustadt, um das Produkt seiner vierjährigen Arbeit zum ersten Mal fliegen zu sehen. Das alte Flugfeld aus K.u.K.-Zeiten, 1910 geschaffen, hat schon viel erlebt. Ein ideales Ambiente für eine solche Premiere.

Die Bespannung ist extrem dünn, wie ein Seidenschal

Die L-20-Konstrukteure Martin Schrenk und Hanns Klemm hatten den Eindecker für einfachen Transport ausgelegt. Das gummiseilgefederte Fahrwerk gehört zum Flügelmittelteil, die Flächen – teils beplankt, teils bespannt – konnten seitlich hochkant am Rumpf befestigt werden. Drei Personen sollten beim Aufrüsten anpacken. Im wesentlichen geht es dabei um die Montage der freitragenden Flügelhälften, jede gerade mal 40 Kilo leicht.

»Man muss wissen, wo man sie anfassen darf – und wo nicht«, sagt Sebastian Knapp, der die L 20 von Baubeginn an genau kennt. »Die Beplankung ist nur einen Millimeter stark und die Bespannung dünn wie ein Seidenschal. Da ist man schnell durch.« Samt Montage des Höhenleitwerks steht das delikate Gerät nach einer Viertelstunde flugbereit da.

Der Pilot sitzt in der L 20 auf einem kargen Rohrstuhl

Sebastian Knapp bleibt die Ehre, sich ins vordere co*ckpit zu schwingen. Der 38-Jährige hat erst spät mit dem Segelflug begonnen, 2005, drei Jahre später kam der PPL dazu. »Moderne Flugzeuge haben mich nie interessiert«, sagt er geradeheraus. CraftLab bietet ihm auch Zugang zur Albatros und Hansa-Brandenburg.

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In der L 20 sitzt der Pilot auf einem kargen Rohrstuhl mit Tuchbespannung. Vor sich, auf dem kleinen Panel, blickt er auf eine sehr überschaubare Anzahl von Instrumenten und den Zündschalter. Einem Ritual aus den Zeiten des frühen Motorflugs folgend wird der Motor angelassen: ein paar Spritzer Benzin aus dem Blechkännchen in die Ansaugstutzen und etwas Schmieröl auf die Kipphebel. Im Flug bekommen die Hebel kein Öl mehr ab, was bisweilen zu Brüchen führte, wenn sie verharzten – wegen nachlässiger Wartung, wie Knapp mutmaßt.

Weder Bremsen noch Sp*rnrad

Zweimal quirlt ein Helfer den schön geschwungenen Holzprop bei ausgeschalteter Zündung. Für alles weitere ist die Muskelkraft des Piloten gefragt. Angeschnallt erreicht er unterm Tank gerade noch den dort baumelnden Startergriff. Mit einem beherzten Ruck bringt der Pilot den Daimler in Gang. Wie beim Rasenmäher.

Nach den ersten Lebenszeichen ist zügig auf Frühzündung zu schalten. Laufruhe gehört indes nicht zu den Tugenden des F 7502, typisch Zweizylinder-Boxer. Knapp: »Der Übergang vom Leerlauf zu Teillast ist ruppig. Die ersten Maschinen wurden noch ohne Schwingungsdämpfer gebaut oder hatten nur Holzdämpfung, also Holz zwischen Motor und Motorträger. Bei allen weiteren Modellen gab’s elastische Dämpfungselemente. Ein Problem waren auch die Kupferrohrleitungen vom Brandschott zum Vergaser. Die sind gern gebrochen.«

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Wie das Original hat die Repro-Klemm weder Bremsen noch Sp*rnrad. Beides braucht man auf einer großzügig dimensionierten Grasbahn nicht, findet der Testpilot. Bei Vollgas macht der Motor 3000 Umdrehungen pro Minute. Das Planetengetriebe bringt 1000 Umdrehungen auf den Propeller. Der Schleifsp*rn ist kaum belastet und kommt beim Start schnell hoch. Doch die Beschleunigung ist alles andere als spritzig.

Die L 20 lässt erst bei 40 km/h einen Flügel fallen

Bei Windstille darf man mit etwa 150 Metern Rollstrecke rechnen. Dann hat die L 20 die notwendigen 50 km/h erreicht und hebt ab. Im flachen Steigflug gewinnt sie bei 65 bis 70 km/h langsam Höhe. Im Reiseflug legt sie etwas zu; der Propeller schaufelt dann mit 930 Umdrehungen. Knapp attestiert gut abgestimmte Ruder, aber viel Arbeit mit den Pedalen beim Kurven.

Nahe der Abrissgeschwindigkeit zeigt sich der sportliche Klassiker äußerst zivil. Erst bei 40 km/h lässt die L 20 einen Flügel fallen; 30 Meter tiefer ist sie mit nachgelassenem Knüppel schon wieder unter Kontrolle. Beim Ausschweben zur Landung kommt die hohe aerodynmische Güte zum Tragen. Mit seiner geringen Flächenbelastung schwebt der Tiefdecker lang im Bodeneffekt. Aufsetzen in Dreipunktlage, Spur halten, fertig. Erfreulich unspektakulär, alles in allem.

Klemm-Daimler L 20 ist ein Schönwetter-Flugzeug

Im Rahmen der weiteren Flugerprobung will man sich an die hintere Schwerpunktlage herantasten, unverzichtbar für den doppelsitzigen Betrieb. Das künftige Betriebshandbuch dürfte wohl schmal bleiben. »Ein Schönwetter-Flugzeug«, sagt Knapp einschränkend.

Wie es 1928/29 jemand wagen konnte, mit dem alten »Kameraden« um die Welt zu fliegen, ist dem heutigen L-20-Piloten ein Rätsel und nötigt ihm Respekt ab. Der optimistische Freiherr, der es nach New York schaffte, bekam damals von seinen Fliegerfreunden vor dem Start in Berlin zu hören: »Wenn Du bei Fürstenwalde ’ne Panne hast, schreib ’ne Ansichtskarte.«

Text: Stefan Bartmann

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